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Yorktown Heights, New York, und Lausanne, Schweiz, 6. Juni 2005 IBM und die Eidgenössische Technische Hochschule Lausanne (EPFL) kündigten heute eine wichtige Forschungsinitiative mit dem Namen Blue Brain Project an, welche in der Hirnforschung einen entscheidenden Durchbruch ermöglichen soll.
In den kommenden zwei Jahren werden Forscher beider Organisationen die enorme Rechenleistung des IBM Blue Gene Supercomputers nutzen, um gemeinsam ein detailliertes Modell der Neuronenschaltkreise des Neokortexdes grössten und komplexesten Bestandteils des menschlichen Gehirnszu erstellen. Mit der Ausdehnung des Projekts auf andere Bereiche des Gehirns möchten die Wissenschaftler schliesslich ein exaktes computergestütztes Modell des gesamten Gehirns entwickeln.
Über die Funktionsweise des menschlichen Gehirns ist bis heute relativ wenig bekannt. Mit Hilfe des virtuellen Modells werden die Wissenschaftler computergestützte Simulationen der Hirnfunktionen auf der molekularen Ebene durchführen, um internen Prozessen im Zusammenhang mit dem Denk-, Wahrnehmungs- und Erinnerungsvermögen auf die Spur zu kommen. Darüber hinaus erhoffen sich die Forscher neue Erkenntnisse zu den Ursachen von Fehlfunktionen der Neuronenschaltkreise, die als Auslöser von psychischen Störungen wie Autismus, Schizophrenie und Depressionen gelten.
"Die Modellierung der Hirnfunktionen auf der Ebene der Zellen ist ein komplexes Unterfangen, da Hunderttausende von Parametern zu berücksichtigen sind", erklärte Henry Markram, Professor an der EPFL und Leiter des Projekts. "IBM hat nicht nur eine einzigartige Erfahrung auf dem Gebiet biologischer Simulationen, sondern verfügt zudem auch über die weltweit fortschrittlichste Supercomputing-Technologie. Mit unseren kombinierten Ressourcen und unserem Know-how lancieren wir eine der ehrgeizigsten Forschungsinitiativen, die auf dem Gebiet der Neurowissenschaften je unternommen wurden."
Henry Markram ist der Gründer des Brain and Mind Instituts der EPFL, welches in mehr als zehnjähriger Forschungstätigkeit und in zahllosen Labortests die weltweit grösste empirische Datensammlung im Bereich der Mikroarchitektur des Neokortex zusammengetragen hat.
Ein Forscherteam von IBM wird seine Erfahrung auf dem Gebiet der Simulation komplexer biologischer Systeme in das Projekt einbringen, um aus diesen Daten ein funktionsfähiges dreidimensionales Modell zu entwickeln, welches die extrem schnellen elektrochemischen Interaktionen im Gehirn simuliert. Das auf 4 Blue Gene-Racks laufende Simulationsmodell wird in der Lage sein, Gehirnprozesse mit einer bisher unerreichten Präzision dreidimensional abzubilden.
"Blue Gene ist der mit Abstand schnellste Supercomputer der Welt und stellt den Wissenschaftlern eine bisher unerreichte Verarbeitungsleistung zur Verfügung", sagte Tilak Agerwala, Vice President of Systems, IBM Research. "Was wirklich zählt, ist indes nicht die reine Rechenleistung, sondern die Art und Weise, wie diese genutzt wird, um die Innovation zu beschleunigen und die Implementierung neuer Konzepte in der Wissenschaft, in der Technik und in der Geschäftswelt zu fördern."
Vom Einsatz eines Blue Gene-Supercomputers für die Durchführung von Echtzeit-Experimenten verspricht sich Markram eine substantielle Beschleunigung der Arbeitsprozesse in der Hirnforschung. "Mit einem präzisen computergestützten Modell des Gehirns kann ein erheblicher Teil der Planungs- und Vorbereitungsarbeit im Vorfeld wichtiger Experimente 'in silico' anstatt im Labor erledigt werden. Bei bestimmten Simulationen rechnen wir damit, dass Arbeiten, die normalerweise ein volles Tagespensum im Forschungslabor erfordern, mit Blue Gene innerhalb von wenigen Sekunden bewältigt werden können."
Das System, das an der EPFL installiert werden soll, wird in etwa die Standfläche von vier Kühlschränken beanspruchen und eine Spitzenleistung von mindestens 22,8 Teraflops (22,8 Billionen Gleitkommaoperationen pro Sekunde) erreichen; damit zählt es zu den leistungsstärksten Supercomputern der Welt.
In einer ersten Projektphase wird es darum gehen, eine Softwarereplik einer Neokortex-Säule zu erstellen. Der Neokortex macht beim Menschen rund 85 % der Gehirnmasse aus und gilt als Sitz der kognitiven Funktionen der Sprache, des Lern- und Erinnerungsvermögens und komplexer Denkprozesse. Eine exakte Replik des Neokortex ist der entscheidende erste Schritt zur Simulation des gesamten Gehirns; gleichzeitig stellt sie die Verbindung zwischen der genetischen, molekularen und kognitiven Ebene der Hirnfunktionen her. In einer zweiten Phase soll die Simulation dann auf die Schaltkreise anderer Hirnregionen und schliesslich auf das gesamte Gehirn ausgedehnt werden.
Gemäss der mit IBM getroffenen Vereinbarung soll ein Teil der Rechenzeit des Blue Gene-Systems für andere anspruchsvolle Forschungsprojekte eingesetzt werden. Im Rahmen eines dieser Projekte werden Forscher des IBM Forschungslabors Zürich mit Wissenschaftlern der EPFL-Institutes for Complex Matter Physics and Nanostructure Physics zusammenarbeiten, um Halbleitertechnologien der Zukunft (Post-CMOS-Technologien) wie etwa Kohlenstoff-Nanoröhren zu erforschen; dieses Projekt ist Teil der permanenten Anstrengungen zur weiteren Miniaturisierung von Halbleitern und Mikrochips.
An anderen Fakultäten der EPFL soll der Einsatz von Plasmas zur Energiegewinnung mit Hilfe von Blue Gene erforscht werden. Ein weiteres Team wird Blue Gene nutzen, um die Proteinfaltung und deren Rolle bei der Entwicklung der Creutzfeldt-Jacob-Krankheit (Rinderwahnsinn) und anderer Krankheiten zu untersuchen.
Über die EPFL
Die ETH Lausanne (EPFL) ist eine von zwei international anerkannten Technischen Hochschulen der Schweiz. Sie zählt zu den führenden Universitäten Europas und geniesst dank ihrer innovativen, interdisziplinären Forschungs- und Lehrtätigkeit ein hohes Ansehen. Die EPFL verfügt über Top-Lehrkräfte und zieht Forscher und Studenten aus allen Teilen der Welt an.
Über IBM eServer Blue Gene
IBM arbeitet bei der Erforschung und Entwicklung der Blue Gene-Architektur seit 2001 mit der National Nuclear Security Agency zusammen. Die NNSA hat im Lawrence Livermore National Laboratory das weltweit leistungsfähigste BlueGene/L-System installiert.
Blue Gene-Supercomputer sind für Bandbreite, Skalierbarkeit und die Verarbeitung grosser Datenmengen optimiert und zeichnen sich im Vergleich zu anderen führenden Supercomputern durch einen erheblich geringeren Energieverbrauch und eine stark reduzierte Standfläche aus. Heute sind IBM eServer Blue Gene-Systeme in Forschungszentren rund um die Welt im Einsatz: am Lawrence Livermore National Laboratory, am San Diego Supercomputing Center, an der Universität Edinburgh, am Argonne National Laboratory (USA), bei der niederländischen Astronomievereinigung ASTRON, bei NIWS Co. (Japan) und am National Center for Atmospheric Research (USA). Die Supercomputer übernehmen eine breite Palette von rechenintensiven Aufgaben, die von der Genomforschung über die Dynamik flüssiger Körper bis hin zur Wettermodellierung reichen.
Der IBM eServer Blue Gene ist in Grössenordnungen von 1 bis 64 Racks mit je 1024 Dualprozessorknoten erhältlich. Der IBM eServer Blue Gene bietet eine Spitzenleistung von 5,7 Teraflops (Billionen Gleitkommaoperationen je Sekunde) pro Rack und erreicht eine 25-mal höhere Leistung pro KW als Earth Simulator.